Kaum zu glauben aber wahr, ich sitze doppelt geimpft (zum Glück, denn scheinbar gehen viele TeilnehmerInnen davon aus, ihre Nase sei nicht mit der Lunge verbunden und tragen die Maske tiefergelegt) beim Briefing in der Sporthalle in Schwerin für die „kleine“ (ist relativ) Seenrunde der 5. Auflage des Schweriner Seentrails. Wie ist es dazu gekommen?
Seit meine kaputte Schulter mir das Bassspielen und Krafttraining verleidet, steht für mich fest, als Ersatzbefriedigung muss ein Marathon her. Als nächster Step erschienen mir 33 Km passend.
2021 hatte ich bis Juni bereits die 20×21 (also 20 HM in 2021) Challenge der Swissmarathonis erfolgreich absolviert. Und wollte nun mehr – mehr Kilometer. Ein Läufer werden. Für mich persönlich gilt immer noch, der Unterschied zwischen einem Jogger und einem Läufer beträgt 42,195 Kilometer. Dann kam der Zufall ins Spiel: Meine Freundin Natalie und ich sind beide alleinerziehend in verschiedenen Städten. Alle 14 Tage versuchen wir unsere ‚Zeit zu Zweit‘ interessant und aktiv zu gestalten. Natalie sagte, sie würde gerne mal mit mir nach Schwerin, dort wäre es sehr schön (wie Recht sie hatte!). In meinem Trainingsplan stand in der Marathonvorbereitung ein dreistündiger Lauf für das besagte Wochenende – und in Schwerin war der Seentrail ausgeschrieben.
33 Km oder 61 Km rund um den Schwerinersee. Landschaftlich einfach nur schön. Schnell angemeldet und ein Hotel gebucht. (Plaza … außen hui, innen … etwas, äh … verlebt ;). Am 20.8. eingecheckt und in die City begeben, um die Startunterlagen abzuholen (Tip: Nicht zu pünktlich auflaufen). Auch jetzt war mir noch nicht abschließend klar, ob ich das Abenteuer am Folgetag in Angriff nehmen könnte, denn drei Wochen zuvor hatte mich ein hartnäckiger Hexenschuss/ Lumbago erwischt, der mich immer noch beeinträchtigte. Auch vor dem Hintergrund, dass bei einem Trail durchaus mehr Beweglichkeit vonnöten ist, als bei einem Straßenlauf.
Mit Natalie fuhr ich dann abends das Startgebiet und die ersten 11 Km der Strecke am Fuße der schönen Schweriner Märchenschlosskulisse entlang des Schweriner Sees, mit den Rädern ab. Romantischer Sonnenuntergang inklusive. Das hat Spaß gemacht und Sicherheit gegeben. Abends und nachts mit Schmerzöl und Faszientraining gearbeitet. Dies in Verbindung mit dem gemeinsamen, langsamen Lauf der Teilnehmer von der Sporthalle rüber zum Start/ Schloss am 21.08. brachte die Gewissheit, dass es auf den Punkt klappen würde, mit der erforderlichen Fitness für die unmittelbar bevorstehende Aufgabe. 10:30, Betriebstemperatur, Maske runter, Startsignal. Juhu – Corona kann uns mal, für den Moment.
Am Schloss entlang über den Franzosenweg kam bereits nach 1,5 – 2 Km der erste Trailabschnitt. Die Radbegleitungen wurden durchgewunken, wir bogen rechts ab, merklich bergauf, Singletrail. Auf dem Plateau ergaben sich ca. 150m Überholmöglichkeit, bevor es steil bergab ging. Eine ältere Läuferin schob sich vor mich und zwei weitere Läufer. Deren Atem im Nacken stürzte sie leider am Ende des anspruchsvollen Abstiegs. (Gedrängelt wurde nicht)! Aber sofort kümmerten sich mehrere Läufer um sie. Ich hielt auch. Die Frau war ansprechbar. Weiter ging es. Natalie radelte neben mir, wir plauderten kurz, aber beim Sport funktionieren wir im Team auch ohne Worte. Die Beine wurden locker, den Helfern am VP 1 am Badestrand winkte ich freundlich zu, ohne anzuhalten. Ich hatte selbst Getränke dabei. Weil vor- und hinter mir eine Lücke entstanden- und überholen problemlos möglich ist, lief ich jetzt mit Musik weiter. Bald ging es vom Asphalt rechts ab, bergauf.
In Erinnerung habe ich drei echte Trailabschnitte, mit Steigungen und Gefälle im Wechsel, mit der Gefahr in den See abzurutschen, an einer Stelle verhinderte dies ein Tau, mit Gräben, Steilhängen oder umgefallenen Bäumen. Ich habe die Anforderungen unterschätzt. Die Läufer vor und hinter mir waren meist kleiner und leichter als ich. Ich sah sie tief unter den dicken Baumstämmen durchtauchen. Mit dem Rest-Hexenschuss im Gebälk und 193 cm Körpergröße, kombiniert mit der Geschmeidigkeit einer Bahnschranke, war ich froh, nach dem ersten Abtauchen wieder in die Gerade zu kommen. Besser nicht wiederholen! Den nächsten Baumstamm übersprang ich mit einem großen Satz, auch das war riskant, also ging ich bei den folgenden auf alle Viere. Dreckig machen. 🤪
Alle Widrigkeiten mussten mit der richtigen Mischung aus Ausdauer, Konzentration, mentaler Bereitschaft und Selbsteinschätzung der eigenen Fähigkeiten gemeistert werden.
Da ich zu den Trailneulingen gehörte, wollte ich es einigermaßen ruhig angehen lassen, musste bei den unwegsamen Abschnitten aber lernen, dass ich auf den Passagen dazwischen deutlich schneller rennen sollte als geplant, um mein Ziel -Top Ten in meiner AK M50 und einer Zielzeit <3:18 h- zu erreichen. Das bedeutete, zwischenzeitlich immer wieder eine für mich schnelle 5:05 er Pace, auf den gut laufbaren Abschnitten hinzulegen.
Am 2. VP nahm ich außerplanmäßig etwas Cola zu mir, was mein Magen nicht so toll fand. Ich lerne noch. Dann ging es einen langen Anstieg hinauf, Wiese, irgendwann auch lockerer Ackerboden, ich verlor mich etwas in Raum und Zeit, weshalb ich die Abfolge nicht mehr so ganz rekapitulieren kann. Irgendwann war meine Radbegleitung wieder neben mir. Das tat gut und ich konnte mich neu motivieren. Die Strecke war nicht immer gut zu finden (oder gutzufinden 🙂 so waren Natalie und ich an einer Gabelung etwas ratlos. Fußgänger? Trail .. Schild mit Pfeil nach rechts, Radbegleitung links … Läufer?! Ich entdeckte einen roten Pfeil, der eine Spitzkehre am Boden markierte und folgte unsicher. Irgendwann kam mir ein verirrter Läufer, Heiko, entgegen. Wir sahen uns um, weiter hinten schlossen andere Läufer zu uns auf … also doch richtig?! Dann entdeckte ich einen Holzstab mit roter Farbe am Rand einer Wiese … also ab ins Grün, der schöne Vorsprung war dahin. Abgesehen davon war ich sauer, denn in Laufberichten der Vorjahre war ja ebenfalls häufiger von der weniger guter Streckenmarkierung die Rede. Später entschuldigte sich der Veranstalter bei den Läuferinnen und Läufern auf seiner Internetseite.
Dennoch darf darüber nicht vergessen werden, dass viele Helfer ehrenamtlich dafür gesorgt haben, dass wir in diesen Zeiten überhaupt laufen konnten! Dankeschön.
Im letzten Trailabschnitt forderte ich den Läufer hinter mir auf, mich zu überholen. „Das ist hier nicht mein favorisiertes Terrain,“ gab ich zu verstehen. „Das sieht man.“ sagte er lachend. Na toll… . „Aber bleib mal vorne, gib Gas.“ OK – also Anschlag. Dann passierte es … ca. bei Km 28 bekam ich einen fiesen Wadenkrampf, stolperte in der Folge über eine Wurzel und rutschte gut 2 Meter die Böschung hinab. Ich sah aus wie ein Wildschwein, artikulierte mich auch so und jetzt war ich obendrauf noch dreckiger. Zwei Läufer hielten kurz, Heiko brachte Zug auf die Wade. Ich gab zu verstehen, dass ich klar käme und ging erstmal ein paar Meter, bevor ich mit einer 6:30er Pace weiter trabte. Dann wieder eine Wiese hinauf, oben befestigte Wege. Natalie stand dort, reichte mir etwas zu trinken. Ich setzte mich auf eine Bank. Tolles Wetter dachte ich, jetzt ein Magnum. Stattdessen zog ich den ersten Schuh aus und stellte fest, dass der halbe Schweriner Forst dort hinein gerutscht war. Im anderen sah es nicht besser aus. Zum Glück musste ich mich nicht lange damit aufhalten: Für den Fall von Blasenbildungen hatte ich Natalie Ersatzschuhe in die Satteltasche gepackt. Die Adizero Boston 9 saßen ziemlich locker. Vorgeschnürt hatte ich sie mit dickeren Socken. Wieder etwas gelernt. Aber sie sind deutlich leichter als die Solar Boost 3 und gaben mir auf den fortan bis ins Ziel befestigten Wegen ausreichend Halt. Als das Schild auftauchte, welches den letzten zu laufenden Kilometer markierte, gab ich noch einmal Gas, überholte hier und da gehende Mitstreiter und kam erschöpft, aber nicht komplett fertig ins Ziel: Platz 7 in meiner AK, in 3:14:20 (meine Uhr, eventuell hat sie bei der Suche nach dem Weg oder an einem Verpflegungspunkt auf Autostopp geschaltet) bzw. offiziellen 3:17:35. (Wichtiger: Meine Freundin war „mega“ zufrieden mit meiner Leistung und ich war es auch). Bei einem Stück Kuchen, einer kalten Seewasser-Dusche direkt im Zielbereich und einem lauwarmen, alkoholfreien Pils erholte ich mich kurz. Dann gingen wir zur Sporthalle und ich schnappte mir mein Fahrrad.
Im Hotel nochmals kurz geduscht und geschlafen, dann sind wir wieder reingeradelt, in die Fußgängerzone der Landeshauptstadt. Nach einem üppigen Essen flanierten wir anschließend im Schlossgarten.
Ein cooles, anspruchsvolles Event in einer sehr schönen Stadt.
Kosten 35 €, inkl. Holzmedaille.
PS: 1. Dem Veranstalter ist es ausgesprochen wichtig, dass kein Müll zurückgelassen wird.
2. Die HP https://www.schweriner-seen-trail.com ist sehr informativ. (Was allerdings nicht explizit aus den dortigen Angaben hervorgeht, ist, wie schwierig/ gefährlich einige Passagen des Trails sind. So haben auch ‚nur’ drei Männer und eine Frau ab der AK 65 das Ziel erreicht. Vor deren Leistung ich aber gaaanz tief meinen Hut ziehe).
3. Wer gerne großartige, bleibende Eindrücke sammelt, statt Dinge, der läuft mit, beim nächsten Schweriner Seentrail.